Die 12 Sinne, Hören

Monatsbeitrag August 2020: 12 Sinne des Menschen: Der Hörsinn

Hören

Autor Peter W. Köhne
Von Peter W. Köhne

Wir hören immer

Inzwischen wissen wir, dass wir immer wirken, immer kommunizieren, immer sehen und, wie kann es anders sein, auch immer hören. Vielleicht merken jetzt Einige an, dass wir in einem schalltoten Raum nichts mehr hören. Das könnten wir annehmen. Dazu eine Erfahrung des amerikanischen Komponisten und Künstlers John Cage, des wohl weltweit einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er besuchte im Jahr 1951 einen solchen schalltoten Raum der Harvard University in Boston.

Dieser Raum ist so konstruiert, dass die Wände, die Decke und der Boden quasi alle Geräusche absorbieren und dabei nichts als Echo zurückwerfen; dazu sind solche Räume nach außen hin fast vollkommen schalldicht. Cage betrat den Raum und erwartete, rein gar nichts zu hören – später schrieb er: „Ich hörte zwei Klänge, einen hohen und einen tiefen. Als ich sie dem zuständigen Techniker beschrieb, erklärte er mir:  „…der hohe entsteht durch die Arbeit meines Nervensystems und der tiefe durch meinen Blutkreislauf.“ Ob diese Erklärung den Tatsachen entspricht oder nicht, sei dahingestellt – jedenfalls begab sich Cage an einen Ort, wo er totale Stille erwartete, und hörte trotzdem Klänge.

Später sagte er dazu: „Es gibt weder einen leeren Raum noch eine leere Zeit. Es gibt immer etwas zu sehen, etwas zu hören. So sehr wir auch versuchen zu schweigen, wir können nicht… Bis ich sterbe, wird es Geräusche geben. Und sie werden nach meinem Tod weiter erklingen. Man braucht sich um die Zukunft der Musik nicht zu fürchten.“ (Auszug aus Wikipedia)

Diese Erfahrung verarbeitete John Cage in wohl seiner bekanntesten Komposition 4’33“ (4 Minuten 33 Sekunden). Dieses Stück hat drei Sätze in denen nichts geschieht, keine Musik, kein Klang, kein einziger Ton. Das erzeugte Unmut und Protest beim Publikum. Aber natürlich geschah in dieser Zeit etwas, alles, was im Umfeld an Tönen und Geräuschen auftrat, gehörte zur Komposition. Cage machte sehr deutlich, dass auch das Reden und der Protest des Publikums tatsächlich als Teil der Klänge des Stücks zu betrachten seien. So betrachtet, hören wir immer etwas, auch wenn anscheinend nichts geschieht.

Das Organ des Hörsinns

Wir hören also immer! Was hören wir denn? Schallereignisse, deren Schwingungen auf unser Ohr auftreffen. Die Leitung und Verarbeitung dieser Schwingungen erfolgt in 4 Stufen:

  1. Das Außenohr, das das Schallereignis durch den Gehörgang bis zum Trommelfell in Richtung des Mittelohrs lenkt.
  2. Das Mittelohr, das den Schall vom Trommelfell über die drei Gehörknöchelchen, Hammer, Amboss, Steigbügel zum Innenohr weiterleitet. Diese drei Knöchelchen haben die Aufgabe, den Schalldruck so anzupassen, dass das Innenohr nicht geschädigt wird. Die Schmerzschwelle liegt bei einem Schalldruck von ca. 130 dB (Dezibel).
  3. Das Innenohr, das über die Sinneszellen der Gehörschnecke (Cochlea) den Schall in seine einzelnen Frequenzanteile (Schwinungsraten) zerlegt. Ein gutes, junges Ohr kann Töne von 20 Hz (Hertz) als tiefsten bis 20 kHz (20 000 Hertz) als höchsten Ton wahrnehmen.
  4. Weiterleitung der Signale über den Hörnerv an das Hörzentrum des Gehirns zur Auswertung des Schallereignisses. Hierzu mehr im September-Beitrag mit dem Thema „Wortesinn„.

Wie schon beim Sehsinn leben wir auch mit dem Hörsinn genau betrachtet in der „Vergangenheit“, da der „Zeitfaktor“ der Bearbeitung des Schallereignisses vom Eintreffen bis zum bewussten Wahrnehmen des Schalls eine kurze Zeit in Anspruch nimmt.

Wir hören unterschiedlich

Bei meinen reziprokverbalen Analysen (Analysen der Rückwärtssprache) nehme ich Klienten auf Tonband auf, um es dann später durch rückwärts abspielen zu analysieren. Vorher spiele ich das Aufgenommene noch einmal vor. Jemand, der noch nie seine eigene Stimme vom Band gehört hat, sagt sofort: „Das bin doch nicht ich.“ Stimmt, wir selbst hören uns anders. Woran liegt das?

Wenn wir sprechen wird der Ton über unsere Stimmbänder erzeugt, den andere hören können. In uns selbst regt der Ton zusätzlich die Kopfknochen zur Schwingung an, wir hören uns als selbst noch über die Kopfknochen. Beide Töne nehmen wir wahr, also eine Mischung aus äußerer und innerer Stimme. Eine Tonaufnahme gibt aber nur den äußeren Anteil der Stimme wieder, wir hören so quasi nur ein Teil unserer Stimme. Bei Geigenvirtuosen ist der Effekt noch stärker, weil sie sehr innig mit ihrem Instrument verbunden sind. Sie hören den äußeren Schall, die Schwingung über die Kopfknochen und ebenso die Schwingung des Geigenkörpers, die sich über die Knochen überträgt. Die Viola da gamba ist noch inniger mit dem Körper verbunden, da größere Instrumente zwischen den Beinen eingeklemmt werden und kleinere Instrumente auf den Oberschenkeln stehen.

Im Gegensatz zum Sehen können wir  in etwas hineinhören. Sehen wir zum Beispiel ein Stück Holz, können wir die Farbe, die Maserung und die Beschaffenheit der Oberfläche erkennen. Beim Hören erfahren wir noch etwas mehr über das Holz, nämlich wie es klingt, wenn wir es anschlagen. Es hat einen typischen Ton ähnlich unseren Kopfknochen. So hört jeder Mensch etwas anders auf Grund der unterschiedlichen Kopfknochen. Ein Geigenbauer „hört“ sozusagen in das Holz hinein und kann daran erkennen, welchen Klang eine Geige haben wird. Der Hörsinn nimmt demnach auch das innere Wesen von etwas wahr, das schwingt, und erkennt damit auch die innere Qualität eines schwingenden Körpers.

Ein gutes Beispiel dazu ist, wenn wir Münzen auf eine harte Platte fallen lassen. Große Münzen klingen anders als kleine. Am Klang können wir auch erkennen, ob es sich um Münzen aus Kupfer, Silber, Gold, Messing oder Kupfer/Nickel Legierungen handelt. Dieser Klang könnte uns sogar anzeigen, ob die Münzen echt sind.

Der Körper hört mit

Bisher haben wir nur vom Hören mit den Ohren gesprochen. Das betrifft den Tonumfang mit allen Frequenzen im oben genannten Bereich. Die Haut nimmt Frequenzen wahr, die das Ohr nicht hört, niedrige Schwingungen bis hin zum Infraschall, wie er auch von Windkraftwerken ausgeht. Sogar werden bestimmte Körperbereiche von bestimmten Instrumenten angesprochen. So geht eine Violine unter die Haut, ein Xylophon spricht das Skelett an. Camille Saint-Saens hat in „Karneval der Tiere“ das Xylophon für die Gebeine der Fossilien verwendet. Metall- oder Glas-Töne wirken auf die Muskeln. Tiefe Bässe wirken auf den Bauch. Herbert Grönemeyer hat das im Lied über ein taubes Mädchen verarbeitet: „Sie mag Musik nur wenn sie laut ist …“. Dieses Mädel hört die Musik über ihren Körper.

Nur noch ein Instrument als Beispiel, die Harfe, die auf unsere Nerven wirkt, wir spüren ihre Töne in uns und ihre beruhigende Wirkung. Ein Instrument, das ich persönlich sehr liebe, ist die finnische Kantele, eine Art Tischharfe mit einem hohen Klangkorpus. Die Melodien dieses Instruments dringen tief in mich ein. Wir hören also nicht nur mit unseren Ohren, sondern mit dem ganzen Körper.

Musik hören berührt die Seele

Musik, die auf unser Ohr trifft, macht etwas mit uns. Ein bekannter Dirigent bezeichnete Musik als Sprache der Seele. Ein einzelner Ton einer gezupften Seite kann schon einen heilenden Effekt haben, ein bestimmter Klang kann Verspannungen lösen, ein Lied kann streitende Parteien zusammenführen. So konnte schon König Saul in der Bibel, der von einem bösen Geist befallen war, nur durch den Klang einer Zither wieder beruhigt werden.

Wenn wir Musik hören, die einen bestimmten Rhythmus haben, verleitet sie uns, den Takt mitzuwippen oder darauf zu tanzen und dem gehörten Klang durch die Bewegung des Körpers Ausdruck zu verleihen. Hier ist die Verbindung zum Bewegungssinn

Hören und Musik gehören zusammen. Doch es gibt Unterschiede der Interpretation von Musik. Der Unterschied besteht darin, ob der Interpret mit seiner Musik beeindrucken will, dann präsentiert er damit mehr sein eigenes Ego. Wenn er aber mit seiner Musik berühren will, stellt er die Verbindung und Kommunikation mit der Seele her. Deswegen achtet ein Geigenbauer darauf, den Klang des Menschen zu spüren, der ihm den Auftrag für eine Geige erteilt hat, denn letztendlich wird die Stimme der Geige zum Gesang der Seele des Menschen, der sie spielt.

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1 Kommentar zu „Die 12 Sinne, Hören

  1. Danke, das ist eine stimmige Beschreibung des Hörens, die ich noch einen Schritt weiterführen möchte. Achtung! Sprachenlernen durch „Hören über die Haut“, das geht, ich habs ausprobiert, super! Funktioniert im Coaching auch für das Lernen von Fakten wie für HP-Prüfung, Flugschein, Jägerprüfung usw. mehr unter http://www.isono-mentaltrainer.de